Durchbruch bei Nikolai Panzerjäger im oberschlesischen Industriegebiet Hinweis: Die Anmerkungen finden Sie am Ende dieser Ausgabe Januar 1945. Die Russen starten aus dem BaranowBrückenkopf ihre gewaltige Offensive, um die Reste der Wehrmacht endgültig zu besiegen. Ihnen gegenüber stehen zumeist schlecht ausgebildete und ausgerüstete Einheiten des Volkssturms oder hastig zusammengezogene Alarmkontingente, die jedoch beide als „reguläre“ Truppen in den Kampf geworfen wurden. Nur noch wenige kampfstarke Verbände hat die deutsche Seitezur Verfügung, jedoch sorgen gerade diese immer wieder für eine kurze Stabilisierung der Front. Einer von ihnen ist die schwere (Heeres)-Panzerjäger-Abteilung 88, deren Kampfschicksal der Autor, ein Angehöriger dieser Einheit, nach eigenen Erlebnissen und Erzählungen seiner Kameraden schildert. Für viele von ihnen sollte es keine Rückkehr in die Heimat geben, sondern ein Grab in kalter Erde. Die Redaktion 6/111Viele Stunden hatte Feldwebel Noth1) nun schon in bleierner Bewußtlosigkeit auf einer Sanitätstrage gelegen, die im einzigen Raum einer baufälligen polnischen Hütte stand. An dem Zucken seiner Augenlider war zu erkennen, daß er nun um das Wachwerden kämpfte. Erinnerungsfetzen zuckten durch sein Gehirn: … da war eine Geburtstagsfeier bei seinem Freund, dem Hauptfeldwebel Höhne von der Stabskompanie –welch ein furchtbares Besäufnis … Dabei hatte die Großoffensive des Russen am Vortag (12. Januar 1945) am Baranowbrückenkopf begonnen, aber daran hätte man auch mit nüchternem Schädel nichts ändern können … Immer neue Trinksprüche wurden ausgesprochen und wieder und wieder Flaschen geleert … Auf einmal gab’s nur noch selbstgebrannten polnischen Kartoffelschnaps, diesen lausigen Samagonka. Das üble Gelage glich einer Mischung aus Freude am Geburtstag – „Kinder, man wird nur einmal 30“ – und Furcht vor der Zukunft – „Diesmal macht der ‚Iwan‘2) uns zur Schnekke, in Sibirien gibt’s keinen Samagonka mehr“. Die Feier wurde langsam zur Orgie, da schrie ihm jemand ins Ohr: „Feldwebel, Sie sollen sofort nach Leki Dolne zurück, die 2. Kompanie hat Abmarschbefehl.“ Was wollte der Kerl? – Nur mühsam hatte er mit seinem umnebelten Hirn den Sinn der Worte begriffen, dann stand er glücklich auf wackeligen Beinen und wurde von dem Gefreiten gestützt, der ihm den Befehl ins Ohr gebrüllt hatte. Die eiskalte Luft draußen machte seinen Kopf etwas klarer. Er mußte zun- ächst von Leki Dolne nach Korshilow, wegen der albernen Benzinrationierung. Der Gefreite brachte den Zossen und half ihm hinauf, langsam zuckelte er los. „Sie müssen in die andere Richtung, Herr Feldwebel“, brüllte es hinter ihm her. Mühsam hatte er das Pferd herumgedreht, ritt durch einen Wald, der Weg war durch den Schnee gut zu erkennen. Dann Zuckeltrab. O Gott, beim Hopsen auf dem Pferderücken verspürte er jeden Stoß als schmerzhaften Stich in seinem Schädel.Am Waldrand war auf einmal irgend etwas, das sein Pferd erschreckte. Es machte einen Sprung zur Seite. Er konnte sich nicht halten und fiel, und von da an setzte die Erinnerung aus … Feldwebel Noth öffnete die Augen. Das spärliche Licht, das durch die winzigen Fenster hereinfiel, genügte, um einen neuen Aufruhr in seinem Gehirn auszulösen. Stöhnend deckte er die Augen mit seinen Händen ab … „Na, wieder auferstanden von den Scheintoten, Herr Feldwebel?“ ertönte es neben ihm. Noth warf einen vorsichtigen Blick zur Seite. Ein ihm völlig fremder, feldmarschmäßig ausgerüsteter Landser stand neben seinem Lager und feixte über das ganze Gesicht. „Sie hat es vielleicht erwischt“, fuhr der andere fort, „seit 14 Stunden liegen Sie hier nun schon wie ein Toter. Ich möchte zu gern wissen, war das nun der Suff oder der Sturz?“ Der Feldwebel setzte einige Male zum Sprechen an, dann war er wenigstens so klar, um etwas sagen und eine Frage stellen zu können: „Mann, ist mir’s schlecht. Wo bin ich denn eigentlich, und wie komme ich hierher?“ „Dachte ich mir’s doch, er weiß von nichts. Also, ganz kurz: Sie sind in Mosny. Hier hat der Divisionsstab der 359. Infanteriedivision (ID) gelegen. Ist aber schon alles abgerückt. Die Division wurde nach Norden an den Weichselbogen geworfen. Sie hat die dankbare und bestimmt ganz einfache Aufgabe, die russische Großoffensive zu stoppen. Weiter: Sie wurden gestern auf der Straße nach Korshilow bewußtlos gefunden. Hätten sich auch ’ne bessere Schlafgelegenheit aussuchen können. ’ne Stunde später und Sie wären glatt erfroren. Sind Sie von irgendwas heruntergefallen?“ „Ja, vom Pferd“, warf Noth seufzend ein. „Ach so, deshalb“, grinste der Infanterist, „ein Gaul wurde aber nicht gefunden. Sie waren, mit Verlaub gesagt, voll wie tausend 8/111Mann und stanken wie ’ne Schnapsdestille. Vom Sturz müssen Sie aber noch ’ne tüchtige Gehirnerschütterung dazubekommen haben. Sie haben eine mächtige Schramme und ein Horn auf dem Kopf, daß Ihnen kein Hut mehr paßt. Von welchem Verein sind Sie denn eigentlich davongelaufen?“ „2. Kompanie, Panzerjägerabteilung 88 in Leki Dolne Podlesie.“ „Oh, da sind Sie aber ganz schön vom Weg abgekommen. Von hier sind es doch glatte 15 Kilometer bis dahin.“ Der Infanterist richtete sich auf. „Doch nun muß ich Sie allein lassen, Herr Feldwebel. Meine Kameraden sind schon längst weg, und ich bin nur zurückgeblieben, damit Sie nicht vom Russen kassiert werden. Die Front wird nämlich hier bis zur A-1-Stellung zurückgenommen.“ „Mit meinem Brummschädel schaffe ich die 15 Kilometer nicht. Können Sie mich nicht ein Stück mitnehmen?“ fragte der Feldwebel. „Ich hab’ ’ne Solomaschine. Wenn Sie mir versprechen, nicht wieder hinunterzufallen, können Sie hinten aufsitzen. Ich kann dann auch über Leki Dolne fahren. Ich fress’ aber ’nen Besen, wenn Ihr Haufen noch dort ist. Hier hab’ ich übrigens ein paar Aspirin für Sie, hoffentlich helfen die.“ Die Fahrt nach Leki Dolne Podlesie war für Noth eine einzige Tortur, jedes Schlagloch eine Qual. Erst allmählich wurde es mit seinem Kopf besser, vielleicht durch die Pillen. Als der Infanterist ihn in Leki Dolne absetzte, konnte er wieder einigermaßen klar denken. Von den Panzerjägern fand er keine Spur mehr. Verzweifelt lief er von Hütte zu Hütte, kein deutscher Soldat war zu sehen. 9/111Schließlich traf er den Ortsvorsteher. Dieser war im Ersten Weltkrieg in deutscher Gefangenschaft gewesen, in München. Deshalb konnte er gebrochen Bayerisch sprechen. Von ihm erfuhr Noth, daß die Kompanie in den Abendstunden abgerückt sei. „Pan Pfeil mit Hund warten auf Feldwebel bis früh, dann wegfahren.“ Der Obergefreite Pfeil war der Kompaniemelder. Er fuhr eine Beiwagenmaschine und hatte immer einen Spitz bei sich, der auf dem Beiwagen hockte. Der Hund war ein wahrer Akrobat. Trotz der rasanten Fahrweise seines Herrchens fiel er nur ganz selten von seinem Stammplatz herunter. Ebenso frech wie mutig, verteidigte er Herr und Maschine, der sich niemand zu nähern traute. Den Feldwebel hatte er jedoch in sein kleines Hundeherz geschlossen. Bis heute früh hatte Pfeil also auf ihn gewartet. Noch nie hatte Noth sich so sehr nach dem Spitz und dessen Herrn gesehnt, wie in diesem Augenblick. Da stand er nun einsam und verlassen in dem polnischen Kaff, seine Kompanie war schon fast einen ganzen Tag unterwegs, vielleicht am Feind. Er wußte nicht mal, wo er sie suchen sollte. Der Chef hatte offenbar extra seinetwegen den Melder zurückgelassen. Er hatte dem Polen schließlich auch nicht das Marschziel der Kompanie angeben können. Was würde Oberleutnant Schreiber nur von ihm denken! Feldwebel Noth war es hundeelend zumute. Wäre nicht der polnische Dorfschulze neben ihm gestanden, er hätte sich am liebsten in eine Ecke verkrochen und geheult. So aber bedankte er sich mit freundlicher Miene, verabschiedete sich und verließ Leki Dolne in nördlicher Richtung, in der auch seine Kompanie abmarschiert war. Dresden. Auch hier hatte der Winter mit voller Härte seinen Einzug gehalten. Ein eisiger Wind heulte durch die Straßen der 10/111Stadt, trieb den Schnee vor sich her und scheuchte die Menschen in die Häuser. Dort war es trotz Heizmaterialmangels immer noch angenehmer als draußen in der klirrenden Kälte. Wer als Fremder trotz der Unbilden der Witterung noch einen Blick für diese Stadt übrig hatte, der konnte nur staunen, wie unversehrt, ja nahezu friedensmäßig Dresden sich ihm darbot. Hatte er dazu die Zerstörungen der anderen großen Städte des Reiches gesehen, wie z. B. Hamburg, Köln oder Berlin, dann mußte ihm das „Elbflorenz“, wie die Dresdener ihre Stadt stolz nannten, wie ein Paradies erscheinen. „Unwahrscheinlich, was diese Stadt für einen Massel gehabt hat. Wir haben doch nun schon das 6. Kriegsjahr, und auf Dresden ist noch keine einzige Bombe gefallen. Da müßtest du mal meine Heimatstadt Münster sehen, mein lieber Kokoschinski, da war vielleicht was fällig – Dom und Uni im Eimer, ganze Stadtviertel wegrasiert.“ Der Obergefreite Wichmann machte eine wilde Handbewegung, die seine Beschreibung unterstreichen sollte, dabei hätte er beinahe sein Glas mit einem undefinierbaren Heißgetränk vom Tisch gewischt. Der Gefreite Pietsch, der ihm im bekannten Café Hülferich an der Prager Straße gegenübersaß, zuckte zusammen. Er hatte nur mit halbem Ohr zugehört, weil er von zwei hübschen Mädchen am Nebentisch abgelenkt worden war, die ihn freundlich anlächelten. Etwas verwirrt griff er den Faden seines Kameraden auf: „Du hast schon recht, Gustav, es ist wirklich ein Wunder. Man erzählt sich die tollsten Geschichten, warum der ‚Tommy‘3) Dresden verschont hat. Wegen der Kunstschätze, meinen einige, aber die wurden anderswo ja auch zerstört. Andere wissen, daß Churchill4) hier Verwandte haben soll. Es gibt auch welche, die 11/111meinen, die Alliierten brauchten nach dem Krieg eine heile Stadt, um Deutschland von dort zu verwalten.“ „Na, das laß mal keinen hören“, grinste Wichmann, „vor allem flirte nicht dauernd mit den Puppen nebenan, die sind doch ’ne Nummer zu groß für dich. Außerdem wird es höchste Zeit, daß wir uns zum Bahnhof trollen. Der angekündigte Sonderzug müßte eigentlich schon bereitgestellt sein.“ Die beiden Soldaten zahlten, schulterten ihr Gepäck und verließen das überfüllte Lokal. Pietsch drehte sich einige Male zu den beiden Mädchen um, die aber das Interesse an ihm plötzlich verloren hatten. Mißmutig folgte er seinem Kameraden durch die Drehtür in die Kälte der Prager Straße. Beide zogen fröstelnd die Schultern hoch. „Mann, ist das ungemütlich“, schüttelte sich Pietsch, „daß der verdammte „Iwan“ aber auch immer im Winter angreifen muß. Im Winter sollte der Krieg überhaupt verboten werden.“ „Recht haste, Hans“, meinte Wichmann. „Vor drei Tagen ist es schon am Baranowbrückenkopf losgegangen. Findest du nicht, daß die Berichte von der Front verdammt spärlich sind? Aber das wenige hört sich gar nicht gut an. Ich glaube nicht, daß wir unsere Kompanie noch an alter Stelle an der Wisloka antreffen werden.“ „Die Gegend habe ich gar nicht mehr kennengelernt“, stellte Pietsch fest. „Ich bin jetzt schon über ein halbes Jahr von der Kompanie weg, seit damals, weißt du noch, als es mich in der Karpatenschlucht erwischt hat? Die Zeit im Lazarett war übrigens ganz pfundig, was haben die Krankenschwestern sich für eine Mühe mit mir gegeben! Aber dann im Ersatztruppenteil in Borna. Nee, mein Lieber, ich kann dir nur sagen, ganz große Scheiße. Zehnmal lieber bin ich bei der Kompanie. Weißt du, da fühle ich mich wie zu Hause. Man kennt ja bald auch nichts anderes mehr.“ 12/111„Ja“, knurrte Wichmann, „mit dem Spieß5) als Mutter und dem Chef als Vater. Aber du hast irgendwie recht. Hoffentlich finden wir die Zwote. Am meisten fürchte ich mich nämlich davor, von irgendeiner Alarmeinheit kassiert zu werden. Die Offiziere dort haben keine Ahnung, sind meist Etappenhengste, und die Landser kennen sich untereinander nicht. Wenn du dort das Pech hast, einen verplättet zu kriegen, kümmert sich kein Aas um dich.“ Wichmann schaute recht sorgenvoll drein. Mittlerweile hatten die beiden den Wiener Platz erreicht und sahen den Eingang des Hauptbahnhofs vor sich. „Ich werd’ verrückt“, schrie Wichmann plötzlich begeistert, „Mensch, schau mal, wer da vor uns geht. Na, die beiden dort mit dem langen Feldwebel! Unteroffizier Grimmer und unser Sani6) Fritze Czoske.“ „Wo? Oh ja, jetzt sehe ich sie auch. Du, den Feldwebel kenne ich vom Ersatztruppenteil in Borna. Er heißt Klaus Rusch und ist ein pfundiger Kerl. Das wäre klasse, wenn der auch zu unserem Haufen käme.“ Beide beschleunigten ihre Schritte und erreichten kurz vor dem Bahnhofsportal die Genannten, die auf ihr Rufen stehengeblieben waren. Eine lebhafte Begrüßung begann: „Die halbe Zwote trifft sich in Dresden“, ulkte Unteroffizier Grimmer, „ist denn da überhaupt noch jemand an der Front?“ „Daß du nur wieder da bist, Hans“, freute sich der Sanitätsgefreite und schlug Pietsch freundschaftlich auf die Schulter, „ist denn alles gut verheilt bei dir? Ich weiß noch ganz genau, wie du ausgesehen hast, als man dich aus der abgeschossenen ‚Hornisse‘7) herausgezogen hatte.“ Wichmann und Rusch machten sich bekannt, wobei der Feldwebel bestätigte, daß er zur 2. Kompanie versetzt sei. Nachdem sich die erste Woge der Wiedersehensfreude gelegt hatte, 13/111schulterten alle ihr Gepäck und betraten den großen, kombinierten Durchgangs- und Kopfbahnhof von Dresden. In der riesigen Vorhalle, in den Wartesälen und auf den Bahnsteigen herrschte ein Betrieb wie in einem Ameisenhaufen. Das Feldgrau überwog, dazwischen eilten Frauen vom Roten Kreuz und von der NSV.8) An Ständen wurde heißer Kaffee ausgeschenkt. Man sah aber auch Zivilisten mit reichlichem Gepäck, es waren wohl erste Flüchtlinge aus dem Generalgouvernement (Polen), die sich verzweifelt nach Anschlußzügen erkundigten. Alles wogte und quirlte durcheinander, darüber lag ein Gebrodel von Gesprächen und lauten Zurufen, immer wieder übertönt von Lautsprecherdurchsagen und dem Rollen ein- und auslaufender Züge. Eben brüllte es aus dem Lautsprecher: „Der FronturlauberSonderzug nach Krakau, über Breslau, wird eben auf Bahnsteig 3 eingeschoben. Der Zug darf nur von Militärpersonen mit Marschbefehlen benutzt werden. Angehörige der Gouvernementsverwaltung brauchen eine Sondergenehmigung, Beeilung beim Einsteigen, der Zug fährt in Kürze ab.“ „Verdammt, das ist doch genau auf der anderen Seite. Jetzt heißt’s aber, die Beine in die Hand nehmen“, sagte Grimmer ärgerlich. Die fünf Männer hasteten mit ihrem Gepäck auf dem Kopfbahnsteig entlang, was nicht ohne häufige Zusammenstöße abging, die von Flüchen und Schimpfen begleitet wurden. Schließ- lich erreichten sie das Gleis 3. „Verfluchte Unzucht, hier hinten die letzten Wagen sind alles uralte Personenzugwaggons. Die guten Schnellzugwagen sind natürlich ganz vorn“, fluchte der Sanitätsgefreite und versuchte, mit der schiebenden und drängenden Masse Schritt zu halten. In einem der alten Personenwagen wurde ein Fenster heruntergerissen, und ein Obergefreiter winkte den fünf Panzerjägern wie verrückt zu: 14/111„Herrrrreinspaziert. Männer, hier geht’s zur Zwoten! Prima Abteil, solides Holz. Genau fünf Plätze frei, eigener Lokus vorhanden. Immer herrrrreinspaziert!“ „Wenn das nicht Peter Klein ist! Kommt, Jungs, kommt! Wo der ist, ist’s gut. Der hat schon immer einen Riecher für vernünftige Quartiere gehabt.“ Mit viel Hallo und Gelächter stürmten die fünf das Abteil, warfen ihr Gepäck auf die Holzregale und ließen sich selbst auf die Holzsitze fallen, um erst mal zu verschnaufen. Das Abteil hatte eine Tür auf jeder Seite. Auf einer Bank konnten fünf Mann sitzen, auf der gegenüberliegenden drei. Der Rest des Abteils wurde durch eine Toilette eingenommen, die auch vom Nachbarabteil zugänglich war. Der Obergefreite Peter Klein machte bekannt: „Die beiden Kameraden hier, die euch so neugierig anglotzen, sind von den ‚Fußlatschern‘. Der Gefreite hier heißt Jupp und will zur 304. ID., die übrigens gerade mitten in der Scheiße liegen muß. Der Oberschnäpser9) Paule hat’s besser. Er ist von der 75. ID., seine Einheit ist in den Beskiden eingesetzt, da ist jetzt noch tiefster Frieden.“ „Mein Regiment lag dem ‚Iwan‘ am Baranowbrückenkopf gegenüber, direkt am Weichselbogen“, klagte der Gefreite von der 304. ID. „Eben habe ich den Wehrmachtsbericht gehört, danach hat der Russe schon die Nida erreicht. Wißt ihr, was das bedeutet? Die Nida lag viele Kilometer hinter unseren Trossen. Nee, mein lieber Scholli, von meinen Kameraden ist bestimmt kein Schwanz herausgekommen.“ „Nun mach dir mal nicht gleich ins Hemd!“ versuchte ihn Pietsch in seiner schnoddrigen Art zu beruhigen. „Ihr habt doch viele alte Hasen dabei, die wissen schon, wie man sich dünnemachen kann.“ 15/111In diesem Augenblick ruckte der Urlauberzug an und rollte langsam aus der riesigen Bahnhofshalle heraus. – Genau einen Monat später wurde sie im Inferno des entsetzlichen Bombenangriffs auf Dresden fast völlig zerstört. „Na, wenigstens mit der Bahn geht es noch vorwärts“, stellte Rusch fest, „wäre es an den Fronten doch ebenso.“ Wichmann schaute versonnen auf das vorbeigleitende, verschneite Dresden und sagte leise: „Wo werden wir unsere Kompanie wohl wiederfinden, und werden wir noch alle antreffen?“ Seine fünf Kameraden von der 2./s. Pz. Jäg. Abtlg. 88 wurden still und nickten sorgenvoll. Wo war nun die 2. Panzerjägerkompanie, der Feldwebel Noth verzweifelt nachjagte und die zu finden den sechs Soldaten im Fronturlauberzug so große Sorgen bereitete? Zur gleichen Stunde, als der Sonderzug die Dresdner Bahnhofshalle in Richtung Krakau verließ, rollte, von Osten kommend, ein Transportzug auf dem riesigen Güterbahnhof von Krakau ein. Auf einer endlosen Reihe von Flachwagen hatte er Nachschubund Gefechtsfahrzeuge geladen. Ein Personenzug- und zwei MWaggons waren angehängt, in denen 160 Panzerjäger untergebracht waren. An den fest verzurrten 14 „Hornissen“ zeigte das aufgemalte Pik-As als Kompaniezeichen, daß es sich um die 2. Kompanie der schweren Panzerjägerabteilung 88 handelte. Was war der Grund, warum die Kompanie nach Westen rollte? Als die russische Offensive am Baranowbrückenkopf gleich am ersten Tag die deutsche Front zertrümmert hatte, war jeder Kontakt zum führenden Kommando der 1. Panzerarmee verlorengegangen. Hierauf war dieser Frontteil der südlich der Weichsel liegenden 17. Armee unterstellt worden. General Schulz10) ließ sofort die 359. ID. aus der eigenen Front an der Wiskloka herauslösen und warf sie mit dem Ziel über die 16/111Weichsel, die A-1-Stellung als erste Auffangstellung zu besetzen. Die Panzerjägerabteilung 88 fuhr im Eilmarsch an das Südufer der Weichsel, um evtl. übersetzenden Feind aufzufangen. Als die 359. ID. keinen Erfolg hatte, entschloß sich das 17. AOK11) , die aus den Beskiden herbeigeeilte 75. ID. nördlich von Krakau in die Gegend von Miechow zu verlegen, um vielleicht in der A-2-Stellung eine Auffanglinie zu bilden. Gleichzeitig wurden die wenigen gepanzerten Einheiten, die das 17. AOK besaß, nach Westen verschoben, um den Russen, spätestens an der B-1-Stellung vor dem Oberschlesischen Industriegebiet zu stoppen. Deshalb war die Pz. Jäg. Abtlg. 88 mit ihren mehr als 40 gepanzerten Selbstfahrlafetten am Morgen des 15. Januar in mehreren Transporten in Zabno verladen und nach Westen mit Ziel Warthenau (Zawiercie) in Marsch gesetzt worden. Der kurze Halt am Spätnachmittag auf dem Krakauer Güterbahnhof wurde für die Kompanie genutzt, Essen zu fassen, das der Küchenbulle in seiner Gulaschkanone während der Fahrt gekocht hatte. Als die Männer in langer Reihe vor den Plattformwagen anstanden, auf dem die Küche ihre Fahrzeuge verzurrt hatte, lief plötzlich ein lautes Hallo durch die Essenholerschlange. Ein Feldwebel mit weithin leuchtendem weißem Kopfverband kam über einen Kohlenzug geklettert, sprang über das Gleisgewirr und lief nun auf den Transportzug zu. „Da legst di nieder, nu schau, wer da kommt!“ „Ist das nun Feldwebel Noth, oder ist es sein Geist? Einen Heiligenschein hat er ja auf dem Kopf“, sagte einer. Der Kompaniemelder, Obergefreiter Pfeil, regte sich mächtig auf: „’ne ganze Nacht habe ich mir wegen dieses Schlawiners um die Ohren geschlagen, aber der Herr Feldwebel geruhte nicht zu kommen. Und jetzt kann es ihm nicht schnell genug gehen.“ 17/111„Ist’s denn ein Wunder?“ gab der Funktruppführer, Unteroffizier Beer, zu bedenken. „Beim Abmarsch in Leki Dolne hätte er doch arbeiten müssen, jetzt aber gibt’s was zu fressen!“ Als Noth den Transportzug erreicht hatte, vergaßen die Landser für eine Weile ihre gutmütigen Flachsereien und begrüßten den Ankömmling stürmisch. Jeder wollte ihm die Hand schütteln oder ihm wenigstens auf die Schulter klopfen. Immer wieder wurde er gedrängt, zu erzählen. „Gleich, gleich“, wehrte Noth jedoch ab, „erst muß ich mich beim Chef zurückmelden.“ Oberleutnant Schreiber empfing ihn zunächst etwas frostig. Als der Kompanietruppführer ihm verlegen seine Erlebnisse vorgetragen hatte, konnte er sich jedoch ein Grinsen nicht verkneifen. Er wurde dann zwar betont streng mit den Worten verabschiedet: „Hoffentlich ist Ihnen das für die Zukunft eine Lehre, Noth!“ Der Feldwebel merkte aber, daß sein Chef sich im stillen amüsierte und für ihn die Angelegenheit erledigt war. In Windeseile hatten sich Noths Erlebnisse in der ganzen Kompanie herumgesprochen, und in den nächsten Tagen wurde so mancher Scherz auf seine Kosten gerissen. Seinen Spitznamen „Der blaue Reiter“ hatte er weg. Am Morgen des nächsten Tages lief der Transportzug in Warthenau (Zawiercie) ein. Die Entladung ging sehr schleppend vor sich. Nicht nur den Männern machte die eisige Kälte zu schaffen, auch einige Panzermotoren waren eingefroren und nur mit viel Mühe und mit Hilfe von Lötlampen zum Laufen zu bringen. So wurde es Mittag, bis die Kompanie abmarschbereit war. In Warthenau war von einem Generalleutnant Sieler im Vorraum einer Kneipe ein Meldekopf „Florian“ eingerichtet worden. Hier meldete Oberleutnant Schreiber die Ankunft seiner 18/111Kompanie und erhielt auch sofort einen Auftrag. Viel schwieriger war es aber, eine Karte zu bekommen. Die B-1-Stellung, die einige Kilometer östlich von Warthenau verlief, war bisher lediglich von Einheiten des Volkssturms12) besetzt. Geplant war, den Volkssturm nach und nach durch reguläre Truppen abzulösen. Die 2. Kompanie wurde nun als erste Verstärkung in den Stellungsbereich Podlesice, nordostwärts von Warthenau, befohlen. Hier waren angeblich feindliche Vorausabteilungen gesichtet worden. Hauptmann Berger hatte sich mit seiner 3. Kompanie geschickt vor dem Einsatz gedrückt, indem er vorgab, kein Benzin zu haben. Schreiber setzte kein großes Vertrauen in die Verteidigungspläne des Generals, denn er hatte erfahren, daß weiter nördlich bei Tschenstochau der Russe die B-1-Stellung schon längst hinter sich gelassen hatte. Trotzdem rollte am frühen Nachmittag die 2. Kompanie aus Warthenau hinaus. Die Straßen waren völlig vereist, die Gegend hügelig. Das machte besonders den älteren „Hornissen“ mit ihren 35 cm schmalen Ketten zu schaffen, und sie blieben an den Steigungen hängen. Es mußten Stollen montiert werden. All dies kostete viel Zeit. Zur Erkundung schickte der Kompaniechef seinen Kompanietruppführer im VW voraus. Das Ergebnis war niederschmetternd. Die Brücken über den Panzergraben hinter der B-1-Stellung hatte man schon gesprengt. Augenblicke der Ratlosigkeit. Feldwebel Noth hatte jedoch einen Bauern aus der Umgebung aufgegabelt, einen umgesiedelten Balten. „Herr Oberleutnant, dieser Volkssturmmann kennt einen gangbaren Weg durch die Sümpfe.“ Schreiber sah zweifelnd drein und fragte den Ortskundigen: „Sind Sie sicher, daß unsere Panzer dort nicht versaufen?“ 19/111Der Balte wiegte bedächtig den Kopf: „Mit Panzern habe ich keine Erfahrung, Herr Offizier, aber mit einem schweren Traktor bin ich da schon durchgekommen.“ „In Ordnung, versuchen wir es zunächst mit unserem VW, wo die es schaffen, können wir erfahrungsgemäß auch mit Panzern durchfahren.“ Der Oberleutnant und Noth setzten sich mit dem Volkssturmmann in den ersten VW, Leutnant Glade folgte im nächsten. Tatsächlich kamen sie heil durch die Sümpfe und erreichten so die B-1-Stellung. Glade wurde sofort zurückgeschickt, um die Kompanie nachzuführen. Die Stellung war tief verschneit. Die meist älteren Männer des Volkssturms hatten keine Winterausrüstung und nur wenig Munition. Was sollten diese armen Kerle gegen einen mit Panzern, Artillerie und Maschinenwaffen hervorragend ausger- üsteten Feind ausrichten? Die meisten der wenig kriegerisch wirkenden Vaterlandsverteidiger hielten sich bei einer Hütte kurz hinter der Stellung auf. Dort trafen die Panzerjäger den Kommandeur dieses Haufens, einen NSKK13) -Führer. Es zeigte sich bald, daß dieser von der Aufgabe völlig überfordert war. Deshalb war er hocherfreut, daß Hilfe anrückte und er die Verantwortung loswurde. Abwechselnd umarmte er Schreiber und Feldwebel Noth, schenkte ihnen gleich eine große Packung Zigaretten und drückte ihnen Landbrot und hausgemachte Wurst in die Hand. Als auch noch ein VB14) von der schweren Artillerie aufkreuzte, kannte die Begeisterung der Volkssturmmänner keine Grenzen mehr. Schlagartig wurden sie dann aber aus ihrem Taumel gerissen, als plötzlich jemand in die Stube stürmte, um zu verkünden, daß sich feindliche Panzer Podlesice näherten. 20/111Die beiden Panzerjäger liefen nach draußen und erkannten tatsächlich in ca. drei Kilometer Entfernung drei russische Spähwagen, die sich vorsichtig heranpirschten. Obwohl die Volkssturmmänner in Deckung gegangen waren, hatte der Gegner anscheinend Verdacht geschöpft. Die Panzerspähwagen hielten an, und dann blitzte es auf. Kurz darauf fetzten Granaten in die Hütte, die als Kommandozentrale gedient hatte. „Verdammt!“ schimpfe Noth, der zusammen mit Oberleutnant Schreiber in einer Schneeverwehung Dekkung gesucht hatte, „die machen uns hier zur Minna. Hoffentlich kommen bald unsere ‚Hornissen‘.“ Und wieder schlugen Granaten im Haus und in einer danebenstehenden Buche ein. Dann glaubten die Spähwagenfahrer wohl, genug Schrecken verbreitet zu haben und kamen nun in flotter Fahrt angerauscht. Die ersten Volkssturmmänner sprangen auf, um abzuhauen. „Bleibt doch in Deckung, ihr Dussels!“ brüllte Schreiber, „ihr lauft denen doch direkt vor die Flinte, und dann schießen sie euch wie die Hasen ab.“ „Unsere sind da!“ jubelte Feldwebel Noth. Von hinten waren die charakteristischen Abschüsse der 8,8-cm-Pak zu hören. Es peitschte über sie hinweg und schlug fast gleichzeitig beim Feind ein. Sechsmal schossen die „Hornissen“, dann standen zwei der feindlichen Spähwagen in Flammen, der dritte konnte entkommen. „Das ist Pech, daß der entwischt ist; der bringt jetzt die Nachricht von dem starken Pak-Riegel nach hinten“, meinte Schreiber bedauernd. In der Hütte war allerlei zu Bruch gegangen. Der NSKK-Führer war noch kreidebleich, erholte sich aber schnell nach einem Schluck aus der Schnapsflasche. Oberleutnant Schreiber nahm 21/111auch einen, nur Noth wandte sich angewidert ab. Er mußte bei Schnaps immer an die Geburtstagsfeier denken. Mittlerweile waren die „Hornissen“, die von den Volkssturmmännern mächtig bestaunt wurden, näher gekommen und warteten in langer Reihe auf weitere Befehle. Hierzu kam es aber nicht mehr. Ein Melder vom Meldekopf „Florian“ erschien und übergab Schreiber einen Befehl. Es war ein schwerer Schlag für den Volkssturm, als man erfuhr, daß die Panzerjägerkompanie abgezogen würde. Sie hatte sich doch so gut eingeführt. In finsterer Nacht und bei großer Kälte marschierte die Kompanie nach Süden. Das Ziel war Ilkenau (Olkisch). „Der Russe scheint nicht mehr weit zu sein“, stellte Feldwebel Rusch am Mittag des gleichen Tages beklommen fest, als er mit seinen Kameraden auf den Bahnhofsvorplatz von Krakau hinausgetreten war. Es war allzu offensichtlich, daß die Stadt von einer Panik geschüttelt wurde. Bahnhof und Vorplatz waren von vielen Tausenden von Menschen bevölkert, die sich schoben und drängten: Soldaten, Wehrmachthelferinnen, Parteifunktionäre und vor allem Zivilisten, die mit reichlichem, zum Teil sperrigem Gepäck beladen, einen Zug nach Westen erreichen wollten. Als ihr Sonderzug in die Bahnhofshalle eingefahren war, hatten ihn die verzweifelten Menschen sofort gestürmt. Nur mit äußerster Rücksichtslosigkeit war es den Ankommenden gelungen, aus dem Abteil herauszukommen. Nun standen die acht Reisegefährten auf dem Vorplatz und verfolgten mit gemischten Gefühlen das Chaos, das sich ihnen darbot. 22/111„Schaut euch nur das hämische Grinsen der Polen an, am liebsten würden sie Beifall klatschen.“ „Verstehen kann man sie ja. Ihr würdet auch jubeln, wenn der Feind aus unserem Land türmen müßte.“ „Ja, und dazu noch unter so entwürdigenden Umständen!“ fügte Wichmann bitter hinzu. „Ob die noch grinsen, wenn der Russe sie ‚befreit‘ hat? Ach, ich will das gar nicht mehr sehen, gehen wir doch zur Frontleitstelle, da drüben scheint sie zu sein.“ Auch dort herrschte hektischer Betrieb. Mit Schauern stellten die Männer fest, daß viele Soldaten in Alarmeinheiten zusammengestellt wurden. Landser, deren Einheiten verschollen waren, Genesene aus den Krakauer Lazaretten und auch Drückeberger, die sich per Bahn oder Lkw hatten „absetzen“ wollen und von den „Kettenhunden“15) geschnappt worden waren. Nun kamen sie an die Reihe. Ein älterer, väterlicher Feldwebel prüfte ihre Papiere. „Du bist von der 304. ID, mein Sohn. Deine Einheit scheint am Baranowbrückenkopf beim ‚Iwan‘ gelandet zu sein. Bis jetzt hat sich noch keiner deiner Kameraden gemeldet – was machen wir nur mit dir?“ „Bei mir ist das einfacher, Herr Feldwebel“, drängte sich der Obergefreite Paul Pfaff vor. „Meine Division liegt in den Beskiden, dort ist noch tiefster Frieden.“ „Da irrst du dich aber mächtig, mein Guter“, korrigierte ihn der Feldwebel, „du bist doch von der 75. ID, wie ich sehe. Die ist erst kürzlich durch Krakau gekommen und wurde nördlich von hier bei Miechow eingesetzt. Du hast aber trotzdem Glück. Mit dir sind es nun schon über 50 Mann von der 75. In zwei Stunden fahren extra für euch zwei Lkw hier vom Hof nach Miechow ab.“ Er überlegte einige Augenblicke und sagte dann zu dem Gefreiten von der 304. ID: 23/111„Weißt du was, Josef, oder wie du heißt. Ihr seid ja wohl Freunde, nicht wahr? Fahr du mal ruhig mit, vielleicht kommen doch noch einige Männer deiner Einheit zurück. Die müßtest du dann eigentlich bei Miechow treffen.“ Er wandte sich den Panzerjägern zu: „Ihr seid alle von der gleichen Einheit: Panzerjäger 88. Darüber lag doch eine Meldung vor. Wo ist sie denn gleich?“ Nach einigem Suchen rief er einem Unteroffizier zu, der am Nebentisch arbeitete: „He, Otto, was ist mit den Panzerjägern 88?“ „Die sind doch gestern durch Krakau gekommen, mehr weiß ich auch nicht.“ „Na, dann sind die bestimmt auch nach Miechow gefahren“, rief der Feldwebel fröhlich und stellte einen Marschbefehl für die gleichen Lastwagen aus. Durch diesen Irrtum blieben die Abteilkameraden glücklich zusammen und fanden sich am Nachmittag mit Karabinern und Panzerfäusten16) bewaffnet auf einem Lkw wieder, der mit zwei weiteren Krakau nach Norden verließ, um zur A-2-Stellung in die Gegend von Miechow zu fahren. Stunden waren vergangen, längst war die Nacht hereingebrochen. Die barbarische Kälte machte ihnen auf den nur mit Planen abgedeckten Lastwagen mächtig zu schaffen. Deshalb sahen sie es geradezu als eine Erlösung an, wenn die Lkw in der hügeligen Landschaft hin und wieder an Steigungen hängen blieben. Dann sprangen alle ohne Aufforderung heraus, um zu schieben. „Wir müßten doch längst an der A-2-Stellung sein“, meinte Unteroffizier Grimmer, „findet Ihr es nicht auch seltsam, daß wir 24/111in der letzten Stunde keine Menschenseele mehr zu Gesicht bekommen haben?“ In diesem Augenblick hielten die Wagen wieder an. Die Landser sprangen herab, weil sie glaubten, wieder schieben zu müssen. Die Lkw-Fahrer wiesen jedoch nach vorn auf die Silhouette eines Dorfes. „Dort hat es gebrannt, das kann doch nur der ‚Iwan‘ gewesen sein“, sagte der Fahrer des 1. Wagens besorgt zu Feldwebel Rusch. „Scheint so“, nickte dieser und musterte einige schwach brennende Häuserruinen, „fahr ein bißchen näher heran. Wir werden dann zu Fuß sondieren.“ Kurz vor dem Ort ließ Rusch halten. Die acht Abteilgenossen fanden sich wie selbstverständlich zu einem Spähtrupp zusammen und näherten sich vorsichtig dem Dorf. Das erste Haus lag dunkel da. Sie öffneten die Haustür, die Kammertür – nichts, also weiter. Die Balken des nächsten Hauses lohten noch und strahlten eine enorme Hitze aus. Wieder ein unversehrtes Haus, es war ebenfalls leer, jedoch waren überall deutliche Spuren von Plünderung zu erkennen. „Die Polen haben sich ihre Befreiung bestimmt anders vorgestellt. Anscheinend sind sie vor ihren russischen Freunden stiftengegangen“, stellte der Gefreite Pietsch fest. 25/111Die Lkw wurden herbeigewinkt, Posten ausgestellt, und man besprach, was zu tun sei. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß die 75. ID. noch vor uns ist, sie hat sich wahrscheinlich längst abgesetzt“, meinte ein junger Leutnant, der einzige Offizier unter den 60 Männern, „mit Sicherheit haben wir den Russen schon im Rücken. Die russische Front ist jetzt noch lückenhaft, und durch so eine Lücke sind wir ahnungslosen Engel durchgefahren. Uns bleibt gar nichts anderes übrig, als nach Westen durchzubrechen, um Anschluß an die Unsrigen zu finden.“ Mit dieser Feststellung fand er keinen Widerspruch. „Vielleicht haben wir Glück und finden wieder so eine Lücke“, sagte einer hoffnungsfroh. Nach einstündiger Pause, die zum Essen genutzt wurde, machte sich der Konvoi auf den Weg nach Westen, diesmal aber mit aller gebotenen Vorsicht. Im nächsten Dorf trafen sie endlich wieder auf Menschen, es waren verschüchterte Polen. Sie kamen erst aus ihren Verstecken gekrochen, als sie sicher waren, daß es sich um deutsche Soldaten handelte. Jawohl, eine russische Vorauseinheit sei vor vielen Stunden hier durchgekommen und habe sich bei der Bevölkerung nicht nur Verpflegung besorgt. Ein Pole aus dem Nachbarort, in dem die Deutschen noch vor einer Stunde gewesen waren, berichtete, daß die Russen dort alle Häuser angesteckt hätten, von deren Einwohnern sie nichts bekommen hätten. Als der Pole erfuhr, daß keine Russen mehr in seinem Heimatdorf seien, rief er einige Männer, Frauen und Kinder herbei, und sie zogen in ihr Dorf zurück. Die drei Lkw fuhren weiter. Feldwebel Noth stellte auf seiner Karte fest: „Wir müßten jetzt in Warthenau sein. Wie wird es wohl den Deutschen ergehen, wenn der ‚Iwan‘ schon so wenig Rücksicht auf die Polen genommen hat?“Wieder tauchte vor ihnen ein brennendes Dorf auf. „Da laufen doch Menschen herum, seht ihr das auch?“ rief Czoske, der Sanitätsgefreite, „sind das nun Deutsche oder Russen?“ Die Lkw hatten angehalten, man besprach sich. Diesmal ging der Leutnant mit einem Spähtrupp voraus. Vorsichtig näherten sich die Männer dem Dorf und verschwanden zwischen den Häusern. Nach einiger Zeit wurden die Wagen nachgewinkt. Der Leutnant stand am dritten Bauerngehöft, das noch unversehrt war. „Seltsam, ich meine ganz bestimmt, eben noch Menschen gesehen zu haben, aber nirgendwo ist einer.“ „Schauen Sie mal hier, Herr Leutnant“, rief ein Infanterist, der hinter das Haus gegangen war, „hier liegen tote Zivilisten.“ Die Gruppe der Panzerjäger folgte dem Leutnant hinter das Haus und sah nun ebenfalls zwei tote Männer, offensichtlich Bauern, am Boden liegen, einer von ihnen war schon sehr alt gewesen. „So also sieht das Los der deutschen Bevölkerung aus.“ Schaudernd wandte sich der Leutnant ab. „Nemmersdorf17) war also kein Einzelfall.“ Plötzlich stand eine alte Frau neben ihnen. „Es ist der Ortsbauernführer und sein Vater.“ Ihre Stimme klang ganz teilnahmslos. „Meinen Mann haben sie auch erschlagen. Er wollte unserer Tochter helfen, als sie vergewaltigt wurde, jetzt sind beide tot.“ Die Landser standen erschüttert um diese Frau herum, die offensichtlich unter einem gewaltigen Schock litt. In ihr schien jegliches Leben abgestorben zu sein, zu Schreckliches hatte sie mit ansehen müssen. Doch selbst in diesem Augenblick unsagbaren persönlichen Leides lebte ihre Mütterlichkeit, und sie dachte an die anderen. 28/111„Die Männer sind alle tot, einen haben sie als Wegführer mitgenommen. Aber im Keller hinter der Scheune haben sich mehrere Frauen und Mädchen versteckt, nehmt sie mit, rettet sie!“ Zwei Infanteristen, die mit einer größeren Gruppe das Dorf durchkämmt hatten, kamen herbeigerannt. „Herr Leutnant, Herr Leutnant, von Westen nähern sich Panzer dem Dorf!“ riefen sie schon von weitem. Der junge Leutnant schien im Augenblick von den Ereignissen überfordert zu sein. Eine solche Situation war auf der Offiziersschule mit Sicherheit nicht behandelt worden. Während er noch zögerte, hörte man auf einmal deutlich das Aufheulen von schweren Motoren und dann Abschuß und Einschlag einer Panzergranate. Feldwebel Rusch faßte sich zuerst und rief der Gruppe der Panzerjäger zu: „Rasch zu den Lkw, wir brauchen Panzerfäuste!“ Sie rannten zu den Lastwagen, die am ersten Haus des Ortes stehengeblieben waren. Sie liefen, was das Zeug hielt, liefen um ihr Leben. Das Heulen der Motoren und das Krachen der Abschüsse kamen schnell näher. Rusch, Klein und Grimmer packten jeder eine Panzerfaust und hasteten auf der Dorfstraße wieder zurück, den Panzern entgegen. Fliehende Infanteristen kamen in Panik zurückgelaufen. Andere versuchten hinter den Häusern Deckung zu finden. Ganz nahe erklangen jetzt die Abschüsse. Auch mit MG schienen die Panzer zu schießen, denn immer wieder hörte man das Stakkato der Maschinenwaffen. Sie mußten schon im Ort sein. Und wirklich, da tauchte der erste neben einem brennenden Haus auf! „Ein Spähwagen – nein, zwei Spähwagen sind es!“ schrie Grimmer. „Los, Klaus, Peter, ihr beide links rüber, ich gehe hier rechts hinter das Haus.“ 29/111Rusch nickte nur und rannte nach links hinter eine Scheune. Nur noch etwa 50 Meter waren die Spähwagen entfernt. „Bist du verrückt, Peter, komm doch in Deckung!“ schrie der Feldwebel. Doch der Obergefreite Klein hörte und sah nichts. Warum vergaß er nur jede Vorsicht? Er stellte sich mitten auf die Dorfstraße, hob die Panzerfaust und visierte den linken Panzerspähwagen an. Ein Feuerstrahl schoß aus dem Rohr der Panzerfaust nach hinten. Im gleichen Augenblick ratterte das feindliche MG los. Die Garbe riß den Obergefreiten von den Beinen. Die Granate, die er abgeschossen hatte, fand jedoch ihr Ziel. Der Panzerspähwagen blieb ruckartig stehen, gleichzeitig schoß Rusch seine Panzerfaust ab. Der Feindpanzer brannte lichterloh. Unteroffizier Grimmer hatte auf den anderen Spähwagen gezielt, geschossen und den Bug getroffen. Führerlos raste der Spähwagen plötzlich los, machte eine Rechtskurve und schmetterte gegen die Scheune, hinter der Rusch Deckung gesucht hatte. Holzbalken brachen, Ziegelsteine flogen durch die Luft, die Scheune krachte und schwankte aus allen Fugen. Halb im hölzernen Heubehälter steckend, blieb der Feindpanzer stehen. Rusch lief zur Straßenmitte und kniete neben Peter Klein nieder. Auch die anderen Panzerjäger kamen herbeigelaufen. Sie erkannten sofort, daß ihr Kamerad tot war. „Nun hat er seine Kompanie nicht mehr erreicht“, flüsterte Grimmer, „und ich weiß doch, wie sehr er an ihr gehangen hat.“ Sie alle, wie sie um ihren toten Kameraden herumstanden, hatten sich nicht mehr um die abgeschossenen Spähwagen gekümmert. Aus dem Wagen, der gegen die Scheune geprallt war, hatten zwei Rotarmisten zu fliehen versucht, waren aber von der Infanterie unter Feuer genommen worden. 30/111Zwei Stunden später verließen die drei Lastwagen diesen Ort des Schrekkens. Peter Klein und sechs Infanteristen, die von den Panzergranaten und MG-Garben getötet worden waren, hatte man in einem gemeinsamen Grab beigesetzt. Mehrere Männer waren verwundet worden. Man hatte sie, so gut es ging, auf die Lkw gebettet. Außerdem hatten sich ihnen zwölf Frauen und Mädchen angeschlossen. Die alte Frau, die für sie gebetet hatte, blieb jedoch zurück. Sie war nicht davon abzubringen gewesen, bei ihren beiden Toten zurückbleiben zu wollen. Man hatte schließlich ihren Entschluß respektiert. „Es beginnt zu dämmern“, stellte Feldwebel Rusch nach etwa halbstündiger Fahrt fest, „dort hinten, der dunkle Saum, das kann nur ein Waldrand sein. Sicherlich ist es der große Forst, der sich bis Podlesice hinzieht. Und dort verläuft nach meiner Karte irgendwo die B-1-Stellung; hoffentlich ist sie von den Unsrigen besetzt.“ „Es wäre doch das vernünftigste, durch den Wald zu fahren oder zu gehen, jetzt, wo es hell wird“, meinte Unteroffizier Grimmer. Der Wagen an der Spitze hatte angehalten. Der Leutnant sprang ab und kam zu dem Lkw zurück, auf dem Rusch mit den Panzerjägern hockte. „Sucha Gorka liegt vor uns. Von dort führt ein Weg durch den Wald nach Podlesice. Wenn wir erst mal im Wald sind, kann uns nicht mehr viel passieren.“ „Ja, wenn!“ zeigte sich Rusch besorgt. „Ich halte es für besser, den Ort zu umgehen und uns dann im Wald zu verpieseln.“ „Besser schlecht gefahren, als gut gelaufen“, erwiderte der Offizier, „außerdem haben wir die Verwundeten und die Frauen mit.“ Rusch hätte einiges dazu sagen können. Er war aber genauso hundemüde wie die anderen und nickte deshalb nur. Der 31/111Leutnant kletterte wieder auf seinen Wagen und brauste mit großer Geschwindigkeit auf den Ort zu, der immer deutlicher zu erkennen war. Die beiden anderen Lkw folgten. 800 … 600 … 400 Meter … Da blitzte es zwischen den Häusern auf. „Schon wieder diese gottverdammten Panzer!“ schrie der Sanitätsgefreite entsetzt. „Runter vom Wagen!“ brüllte Rusch, flankte über die rückwärtige Klappe, löste die Halterungen, so daß die Klappe hinunterfiel und sprang dann in den Straßengraben. Im dichten Knäuel rutschten die Frauen und die Soldaten vom Laster herunter und folgten ihm in den Graben. Keinen Augenblick zu früh, denn schon schlug es auch in ihren Wagen ein. Der Spitzen-Lkw war zuerst getroffen worden und stand in hellen Flammen. Auf ihm mußte es viele Tote gegeben haben. Man sah, daß einige Infanteristen lichterloh brannten und sich schreiend auf dem Boden wälzten. Und immer wieder fetzten Granaten in die Wagen und die fliehenden Soldaten. „Dort rechts fließt ein Bach, Klaus, wenn wir den erreichten, hätten wir Deckung“, rief Unteroffizier Grimmer herüber. „Richtig, Karl, das könnte uns retten. Die Chancen stehen 50 zu 50. Wichmann, Czoske, Pietsch – kümmert euch um die Frauen!“ Rusch faßte eines der Mädchen an der Hand und lief mit ihr auf das Bachbett zu. Mehrmals warf er sich hin, das Mädchen tat es ihm nach. Dann hatten sie es geschafft und lagen am tiefverschneiten Steilufer des Baches. Immer mehr Frauen und Soldaten aus ihrem Lkw fanden sich ein, auch die Besatzung des dritten Wagens war ihrem Beispiel gefolgt. Sie hatten sogar ihre verwundeten Kameraden mitgeschleppt. Vom ersten Lkw hatten es jedoch nur zwei Mann und eine Frau geschafft. „Die anderen hat’s allesamt erwischt, auch den Leutnant“, war ihr knapper Bericht an Feldwebel Rusch, den nun alle als Führer 32/111ansahen. Der warf einen abschätzenden Blick auf die um ihn Versammelten und stellte fest, daß es etwa 35 Männer und neun Frauen waren. „Wie ich sehe, haben die meisten keine Waffen mehr. Kämpfen können wir also nicht, nur noch ausreißen. – Dieser Bach zieht sich im Bogen um den Ort. Wir werden versuchen, in seinem Schutz den Waldrand zu erreichen. Das Weitere wird sich finden, also los!“ „Ich bin völlig fertig“, klagte einer der Verwundeten. „Erschöpft sind wir alle“, sagte Rusch hart, „jede Minute Verzögerung verschlechtert aber unsere Chancen. Im Wald können wir uns ausruhen – vielleicht“, fügte er leise hinzu. Der Marsch durch das Bachbett begann. Oft waren die Böschungen so steil, daß sie durch das eisige Wasser des Baches waten mußten. Die Ränder waren vereist, und man konnte sich leicht verletzen. Es war eine Tortur, vor allem für die Frauen, die nur zum Teil Stiefel trugen. Doch von der Angst getrieben, kamen sie rasch voran. Die Schlange zog sich allerdings immer weiter auseinander. Nun hatten sie Sucha Gorka schon fast umrundet und näherten sich dem Waldrand. Rusch hatte einige Male über die Böschung gespäht und beobachtet, wie sich ein russischer Panzer vorsichtig den brennenden Lkw näherte. Ihm folgten russische Infanteristen in ihren erdbraunen Uniformen. Als die Russen bei den Lkw angekommen waren, hörte man einzelne Schüsse, welche die Fliehenden zusammenzucken ließ und sie wieder zu größerer Eile antrieb. Beim Gegner erschollen Rufe, Panzermotoren heulten auf, und ein Panzergeschoß knallte über sie hinweg. Ein erneuter Blick über die Böschung bestätigte Rusch in seiner Ahnung. „Jetzt gilt’s. Die Russen haben unsere Absicht erkannt und versuchen, uns den Weg abzuschneiden. Tempo, Tempo!“ 33/111Frauen und Männer keuchten an dem Feldwebel vorbei. Grimmer zog ein zartes Mädchen hinter sich her. In einigem Abstand folgte der Verwundete. Er warf sich hin und wäre ins Wasser gefallen, wenn Rusch ihn nicht hochgerissen hätte. „Ich kann nicht mehr!“ Die Tränen liefen ihm übers Gesicht. „Jetzt nur nicht schlappmachen. Was die Frauen können, kannst du auch“, versuchte Rusch seinen Ehrgeiz anzustacheln, als er ihn hinter sich herschleppte. Der blutjunge Soldat riß sich noch mal zusammen und trottete allein weiter, während der Feldwebel oben von der Böschung nach dem Feind Ausschau hielt. Zwei Panzer rumpelten quer über die verschneiten Felder. Den Stahlkästen folgten in breiter Schützenkette russische Infanterie in Kompaniestärke. Das Ziel der Sowjets wie der Deutschen war jene Stelle, wo der Bach, etwa 200 Meter vom Waldrand entfernt, eine Biegung machte, um dann fast parallel zum Wald weiterzufließen. Die ersten deutschen Landser hatten mittlerweile die Stelle des Bachbettes erreicht, die dem Wald am nächsten war. Rusch ließ den Blick von den angreifenden Russen hinüber zum Waldrand schweifen und wieder zurück. In diesem Augenblick wurde ihm klar, daß ihre Chance nicht einmal 1:1000 war. Fast 200 Meter mußten sie alle vor den Panzern und den russischen MPi18) über das freie Feld bis zu den ersten Bäumen laufen. Es wäre die reine Hasenjagd, und die meisten würden dran glauben müssen. Die wenigen, die es wirklich schaffen sollten, würde der Russe sich im Wald schnappen; er wußte da genau, wo er suchen mußte. Die Männer dort vorn hatten diese Bedenken anscheinend noch nicht, oder ihre Angst war stärker. Sie sahen den rettenden Wald vor sich, sprangen über die Böschung und rannten, rannten. 34/111Ein mörderisches Feuer setzte ein. Panzer- und Pakgranaten peitschten die Luft, MG und MPi ratterten. Am Waldrand splitterten Bäume, einige der dahinjagenden Landser stürzten zu Boden und dann – brannte einer der russischen Panzer. Rusch traute seinen Augen nicht. Er kniff sich schmerzhaft in den Arm, doch der Kampfwagen brannte tatsächlich, und die russische Infanterie war in Deckung gegangen. Wieder hämmerte der Abschuß einer Pak, und der zweite Panzer blieb liegen. „Komm, Mann, das ist die Rettung, im Wald sind eigene Truppen!“ schrie Rusch den erschöpften Landser an, der nun doch ins kalte Wasser gefallen war. Er riß ihn hoch, zerrte ihn über die Uferböschung und trottete mit ihm dem Waldrand entgegen. Vor sich sah er Unteroffizier Grimmer, der dem Wald zustrebte, er trug das Mädchen auf den Armen. Rusch merkte gar nicht mehr, daß er vom Russen unter Beschuß genommen wurde. Als er die ersten Bäume hinter sich hatte, ließ er den jungen Infanteristen los, der bewußtlos zu Boden fiel. Gleich neben ihm lag röchelnd Unteroffizier Grimmer, seinen Kopf hatte das Mädchen in ihrem Schoß gebettet. Immer noch keuchend blickte sich der Feldwebel um. Da vorn stand die 7,5-cm-Pak19) , die eben wieder eine Granate gegen die Russen abschoß, und dort hinter den Bäumen kauerten die deutschen Grenadiere, Angehörige eines Jägerbataillons der 75. ID, die den Russen jetzt durch ein wohlgezieltes Feuer in die Flucht trieben. Neun Frauen und die fünf Panzerjäger hatten es geschafft. Von den ursprünglich mehr als 50 Soldaten der 75. ID, die von Krakau aufgebrochen waren, um ihre Division zu suchen, waren nur 27 Mann übriggeblieben. 35/111Kurz vor dem Ziel waren am Waldrand noch drei von ihnen gefallen. Unter ihnen auch ihr Abteilgenosse, der Obergefreite Paul Pfaff … Fast zur gleichen Zeit saßen an diesem frühen Morgen im Vorraum eines kleinen Hotels in Ilkenau (Olkusch) der Kompaniechef der 2. Kompanie, Oberleutnant Schreiber, und sein Kompanietruppführer, Feldwebel Noth, auf einem Sofa und tranken aus einer Rotweinflasche, die ihnen ein Zahlmeister geschenkt hatte. Sie waren die ganze Nacht auf den vereisten Straßen, auf denen sich die Kolonnen gestaut hatten, unterwegs gewesen und deshalb hundemüde. Schreiber nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche und verzog das Gesicht: „Ist das ein saures Gesöff. Ich hatte mich schon gewundert, warum der Zahlmeister so freigebig war.“ Er reichte Noth die Flasche und grinste. „Aber schön war’s doch, daß diesmal die 3. Kompanie die Dummen waren, in Warthenau hatten sie uns reingelegt.“ Worüber sich der Oberleutnant freute, war folgendes: Als er die Ankunft seiner Kompanie in Ilkenau (Olkusch) beim dortigen Kampfkommandanten, einem Generalmajor namens Liss, gemeldet hatte, wollte dieser die 2. Kompanie sofort einsetzen. Schreiber hatte jedoch mit treuherziger Miene beteuert, daß seine „Hornissen“ keinen Tropfen Sprit mehr hätten. In Wahrheit waren die Tanks aber noch zu zwei Dritteln gefüllt gewesen. Bei den mot.-Truppen achtete aber jeder Einheitsführer eisern darauf, daß seine Fahrzeuge immer voll betankt waren und möglichst noch Reservebenzin mitführten. Der General kannte das offenbar nicht, und so bekam Schreiber tatsächlich zwei Kubikmeter für die Kompanie zugewiesen, die auf dem Marktplatz gleich aufgefüllt wurden. So hatte Hauptmann Berger, der mit seiner 3. 36/111Kompanie später eintraf, den Schwarzen Peter, und mußte sofort in Stellung fahren. Es war aber nur eine kurze Galgenfrist, denn schon wenig später waren Schreiber und Noth unterwegs, um bei Kosmolow die zugewiesene Stellung zu erkunden. Kurz vor ihrem Ziel wurden sie jedoch vom Melder Pfeil eingeholt. Der Auftrag hatte sich geändert, das neue Ziel war Przeginia. An der Wegegabel bei Steniczno trafen sie auf die Kampffahrzeuge. Generalmajor Liss war persönlich dabei: „Erhielt eben Meldung, bei B-1-Stellung Ostrand Przeginia feindliche Panzer. Auftrag für Sie: Panzer vernichten! Komme mit, will mir mal eine Panzerschlacht ansehen.“ Schreiber argwöhnte, daß der gute General in diesem Krieg überhaupt noch keinen Schuß gehört hatte. Nun, er sollte seinen Willen haben. Unteroffizier Diebinger und Feldwebel Noth wurden als Aufklärer in zwei VW vorausgeschickt, die „Hornissen“ folgten in mäßigem Tempo. Nach einer halben Stunde kam Noth angerumpelt und meldete: „Die B-1-Stellung ist nicht mehr besetzt. Wir sahen gerade noch, wie eine größere Gruppe des Volkssturms in einem Wäldchen, nördlich von Przeginia, verschwand. Ostwärts des Ortes ist eine Höhe, dahinter waren Motorengeräusche zu hören, zweifellos Panzer.“ Przeginia tauchte auf. Es erwies sich als ein außerordentlich langgestreckter Ort. In der Mitte, in Höhe der Kirche, ließ Schreiber halten, wies den ersten Zug nach links, den 3. Zug nach rechts in die Felder und blieb mit dem 2. Zug auf der Ortsstraße. So näherte sich die Kompanie in breiter Front dem Ostrand von Przeginia. Dort stand Diebinger und wies auf die Höhe, wo in diesem Augenblick die letzten drei, die mutigsten des Volkssturms, mit wehenden Mänteln, davonhasteten. Kaum hatten sie 37/111den Ortsrand erreicht, als mit heulenden Motoren und lautem Kettengerassel die Türme mehrerer T-34-Panzer20) auf der Höhe sichtbar wurden. Sechs Panzer rollten über die nun leere B-1-Stellung, um auf Przeginia vorzustoßen. Sie hatten wohl kaum damit gerechnet, auf eine starke Pak-Front zu treffen. Die „Hornissen“ eröffneten sofort das Feuer. Trotz der kurzen Entfernung verfehlten die ersten Schüsse alle ihre Ziele. Durch die langen Märsche waren die Kanonen dejustiert, ein Leiden, das auf die Länge der Rohre von mehr als 6 Meter zurückzuführen war. Auf sie wirkten sich die Vibrationen bei den Märschen besonders stark aus. Die Kommandanten hatten die Fehlschüsse jedoch beobachtet und gaben ihren Richtschützen sofort Korrekturen. Schon blitzte es auch bei den russischen Panzern auf. Eine Granate schlug dicht neben der Nr. 201 in ein Haus ein; es war der Chefjäger, auf dem auch der Generalmajor stand, um den Kampf zu beobachten. Er war sicher schon siebzig, aber Mut hatte er. Ein T 34 wurde getroffen, allerdings war es ein Abpraller. Doch die nächste Granate schlug durch, der vorderste russische Panzer begann zu qualmen, die Besatzung bootete blitzschnell aus und rannte zurück. Nun fuhren auch die übrigen Russenpanzer, so schnell sie konnten, rückwärts. Sie wagten es nicht zu wenden, um den „Hornissen“ nicht die viel schwächeren Seitenwände darzubieten. Für diese russische Panzergruppe war es sicher der erste harte Widerstand, seitdem sie am Baranowbrückenkopf zu ihrer grandiosen Sturmfahrt angetreten war. Kurz bevor die T 34 hinter der Höhe verschwinden konnten, wurde einer von ihnen noch voll getroffen und blieb brennend stehen. Dann trat Ruhe ein, nur das Geknatter der explodierenden Munition war noch zu hören. 38/111Der General war begeistert: „Ausgezeichnet gemacht!“ lobte er. „Wie wäre es, wenn Sie mit Ihrer Kompanie die Stellungen oben auf der Höhe besetzten?“ „‚Hornissen‘ in vorderster Front ohne infanteristische Sicherung, Herr General, das ist unmöglich, und wurde vom Inspekteur der Panzertruppen ausdrücklich verboten. Ohne Schutz dürfte ich überhaupt nicht hier bleiben. Ich schlage jedoch vor, die Kompanie igelt21) hier am Ortsrand, und Sie schicken uns so schnell wie möglich infanteristischen Schutz.“ „Einverstanden! Sie machen das schon richtig. Werde so bald wie möglich ein Bataillon vorschicken. Habe allerdings nur Alarmeinheiten zur Verfügung.“ Damit verabschiedete sich der General und fuhr offenbar zufrieden mit der erlebten „Panzerschlacht“ nach Ilkenau zurück. Schreiber aber war mit der Trefferausbeute seiner Kompanie gar nicht zufrieden. „Noth, gehen Sie zu den Zügen!“, befahl er, „Kanonen werden sofort justiert, aber nicht alle auf einmal. Außerdem sollen sich die Jäger schnellstens Stellungen in guter Dekkung suchen, tarnen nicht vergessen. 1. Zug nach Nordosten, 3. Zug nach Südwesten sichern.“ Der Rest des Tages verlief erstaunlich ruhig. Von Osten her war nichts mehr zu hören. Anscheinend hatten die Panzer nur eine schwache Vorausabteilung gebildet und sich nun zurückgezogen. Wie ein Spähtruppunternehmen ergab, war die Stellung auf der Höhe aber von russischer Infanterie besetzt. Der Kompaniegefechtsstand war in der Mitte des Ortes in einem größeren Haus eingerichtet worden. Zunächst wurde gebrutzelt, dann versuchte alles zu schlafen, wie übrigens die ganze Kompanie, natürlich mit Ausnahme der Wachen. In der Nacht wurde der Kompaniechef von Funkunteroffizier Beer geweckt: „Ein Hauptmann ist draußen, Herr Oberleutnant, er sagt, er sei von der Alarmeinheit.“
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